Programmheft

der Abendmusik zum 4.Advent
- Kantaten, geistliche Lieder und Fantasien
Sa 18/12/2004 - Solingen-Burg [ 18:00 ] Ev.Kirche
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[+]
Hypertext
mit
Apparatus




Heinrich SCHÜTZ
1585-1672


Bringt her dem Herren
Kleines Geistliches Konzert
für Mezzosopran und b.c.
SWV 283
Leipzig 1636
Jan Pieterszoon SWEELINCK
1562-1621


Fantasia cromatica
Cembalo solo
(d1 [c.1609-1612])
 
Domenico MAZZOCCHI
1592-1665


[1.] A Travestirsi
(Claudio Achillini)
aus: Musiche Sacre, e Morali
Rom 1640
Michelangelo ROSSI
c.1601-1656


Settima Toccata
per clavicembalo
Rom c.1654
Domenico MAZZOCCHI
[2.] Giunto alla Cuna
(Giulio Rospigliosi)
 
Jan Pieterszoon SWEELINCK
Puer nobis nascitur [Vier Variationen]
Cembalo solo
Constantijn HUYGENS
1596-1687


Dilata verunt super me ossum
Psalmus XXXIV-XXXV - Vers. XXI. - XXII.
unius vocis cum basso continuo
aus: Pathodia Sacra et Profana
Paris 1647
Johann Jacob FROBERGER
1616-1667


Capriccio VI auf G
Cembalo solo
Constantijn HUYGENS

Multi dicunt animae meae
Psalmus III - Vers. III. - IV.
 
Johann Sebastian BACH
1685-1750


Gesänge zu G.C. Schemellis Musicalischem Gesang-Buch
Leipzig 1736
Ich freue mich in dir (Caspar Ziegler)
Ihr Gestirn, ihr hohen Lüfte (Johann Franck)
Dieterich BUXTEHUDE
1637-1707


Aria: Rofilis [Lully]
3 Partite diverse BuxWV 248
Cembalo solo
Johann Sebastian BACH
Ich steh' an deiner Krippen hier (Paul Gerhardt)
O Jesulein süß
 
Claudio MONTEVERDI
1567-1613


Laudate Dominum
Psalm 150
aus: Selva morale e spirituale
Venedig 1641
 
Truike van der Poel
Mezzosopran

J.Marc Reichow
Cembalo



von Volker Platte, Remscheid-Lennep MCMXCVIII
nach Christian Zell, Hamburg 1741
(Leihgabe von Inga Kuhnert, Hückeswagen)
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Einer muß stimmen

Einmal gestimmt (und so sollte es sein), behält das Tasteninstrument immer Recht - ein seltener Fall von Entscheidung vor Spielbeginn. Sängerische Tugend hingegen ist die variable Intonation: die blitzschnelle korrigierende Kontrolle hochkomplexer Schwingungsvorgänge in Echtzeit, mit der Gurgel. So daß, je nach Zusammenhang verschieden hoch erklingt, was auf dem Papier noch derselbe Ton schien.
" Als man die so wohlklingende Naturterz und damit den Dur-Dreiklang als Basis unseres Tonsystems gefunden hatte, entstanden zahlreiche Fragen, wie die dabei entstehenden Intonationsprobleme auf den verschiedenen Instrumenten gelöst werden sollten. ... Für die Tasteninstrumente (Orgel, Clavichord und Cembalo) mußte ein Stimmungssystem gefunden werden, das möglichst mit zwölf Tönen pro Oktave die neue terzenreine Intonation ermöglicht. Dieses System wurde mit der 'mitteltönigen Stimmung' gefunden. Ihr entscheidendes Prinzip ist, daß die großen Terzen absolut rein sein müssen, auf Kosten der anderen Intervalle. (Wir haben uns ja darüber klar zu sein, daß es auf einem Tasteninstrument keine 'reine' Stimmung geben kann, daß jedes System bestimmte Intervalle bevorzugt, auf Kosten der anderen.) In der mitteltönigen Stimmung gibt es keine enharmonische Verwechslung, weil jeder Ton eindeutig ist: etwa ein Fis ist als Ges nicht umzudeuten. Um so eine terzenreine Stimmung zu erzielen, müssen sämtliche Quinten stark verkleinert werden; dies ist der Preis, der für die reinen Terzen bezahlt werden muß. ... Die Stimmung heißt mitteltönig, weil die große Terz (etwa c-e) genau in der Mitte (durch das d) geteilt wird und nicht wie in der Obertonreihe im Verhältnis 8:9:10 .... Besonders interessant klingen chromatische Skalen und Durchgänge bei einem mitteltönig gestimmten Instrument. Wenn die einzelnen Halbtöne hintereinander gespielt werden, wirkt dies außerordentlich bunt und mannigfaltig; die Halbtöne sind ja sehr verschieden groß. Der Begriff der Chromatik ist hier ausnahmsweise eine wirklich gute Bezeichnung. Fis ist eine andere Farbe von f. Der chromatische Halbton f-fis wirkt wie eine Verfärbung, während der viel größere Halbton fis-g, der nicht chromatisch ist, ein echtes handfestes Intervall darstellt. "
(Nikolaus Harnoncourt, in Musik als Klangrede, 1982)

Es sollte also gestimmt sein - und Es anders als Dis. Und: es bedurfte, mitunter, geteilter Klaviatur-obertasten zur Annäherung an die Flexibilität der Sänger und Melodieinstrumente, wo Komponisten noch mitteltönige Terzenqualität und Farben mit harmonischem Reichtum zu vereinen suchten: also Dis und Es zwischen D und E. Seit der Einführung des Basso Continuo, des Generalbaß durch Lodovico Viadana um 1600 wurde es schwieriger, die Systeme zu vereinen und brauchbare Terzen zum Generalbaß auch dort zu finden, wo mitteltönig gestimmte Tasteninstrumente sie eigentlich nicht hatten.

Mitteltönige Farben

Noch heute glaubt mancher Führer durch die Klaviermusik bei der Beschreibung der vorbachischen (sic) Epoche ohne Erwähnung von Temperatur- und Stimmungssystemen - geschweige denn der vorherrschenden mitteltönigen Stimmung - auskommen zu dürfen. Ursache mag die Text- und Dokumentenfixiertheit solcher Geschichtsschreibung sein.
Im Licht solch grauer Theorie aber - ohne den Klang der ungleichstufigen Tonleitern, der verschiedenen Farben ihrer Halbtonvarianten und Tonarten - scheint all diese Musik in grauer Vorzeit zu spielen.
Nichts sollte sie weniger.
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Heinrich SCHÜTZ
1585-1672


Bringt her dem Herren
aus:
Erster Theil
Kleiner geistlichen Concerten
Mit 1. 2. 3. 4. vnd 5. Stimmen, sampt bey-
gefügtem Basso Continuo vor die
Orgel,
In die Music versetzet
Durch
Heinricum Sagittarium,
ChurF. Durchl. zu Sachsen
Capell-Meister. [...]
Leipzig [...] Anno MDCXXXVI
[ Originale Vorrede zum ersten Teil: http://home.t-online.de/home/Heinrich-Schuetz-Haus/daten/daten_swv_282-305.htm ]
Bringt her dem Herren, ihr Gewaltigen,
bringt her dem Herren Ehre und Stärke,
Alleluja.

Bringt her dem Herren,
bringt her dem Herren Ehre seines Namens,
betet an den Herren im heiligen Schmuck,
Alleluja.

Alle Lande beten dich an und lobsingen dir,
lobsingen deinem Namen,
Alleluja.
(aus: Psalm 29, 1-2; 66,4)
 
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Jan Pieterszoon SWEELINCK
1562-1621


Fantasia cromatica
Cembalo solo
(d1 [c.1609-1612])


Grootste Nederlander als deutscher Organistenmacher

Entgegen jüngsten populärstatistischen Umfrageergebnissen (November 2004!) dürfte Jan Pieterszoon Sweelinck zweifellos einer der Grootste Nederlanders aller tijden sein. 1562 in Deventer geboren, verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens als Organist an der Oude Kerk in Amsterdam. Nie weiter gereist als nach Antwerpen, gehörte Sweelinck doch als wahre Renaissancefigur zu den einflußreichsten Musikerpersönlichkeiten des frühen 17. Jahrhunderts. Eine "Knotenpunktgestalt" nennt ihn der großdeutsche Musikwissenschaftler H.J.Moser.
Als Instrumentalist, Tasten- und Kirchenkomponist wie auch (untrennbar!) als Instrumental- und Kompositionslehrer - "hamburgischer Organistenmacher" laut Johann Mattheson - prägte Sweelinck die Entwicklung der gesamten nordeuropäischen Musik. Ironischerweise sollten 450 Jahre später gerade durch das Zusammenwachsen Europas die allerauflagenstärksten Sweelincknoten vom Markt verdrängt werden.

Fantasia (quasi una Fuga)

Die Chromatik der Fantasia cromatica auf ihre "Seufzer" zu reduzieren, hieße ihren Gehalt verkennen; auch in Sweelincks Vokalmusik fungiert die Chromatik nie als Ausdrucksmittel (etwa im Sinne text-ausdeutend verschärfter Melodik). Mit dem rhetorischen Affekt, den Chromatik bei frühbarocken Kom-ponisten wie Monteverdi ausdrückt, hat sie wenig gemein. Im Humanismus der Spätrenaissance fußte die "Rhetorik" wesentlich auf Ciceros Theorie der Redekunst. Sweelinck bedient sich ihrer Mittel umfassend (fast katalogisch) zum Bau großer Formen - einer in der instrumentalen (absoluten) Musik bis dahin unerhörten Architektur in der Zeit. Entsprechend lang ist der Schatten, die Fantasia cromatica als Gipfelwerk der europäischen Musikgeschichte wirft: darinnen stehen Nachfolgewerke wie das 3-stimmige Ricercar aus J.S.Bachs Musicalischem Opfer (1747).
Sweelincks Fantasien sind das Urbild der Instrumentalfuge, und späteren barocken Fugen stehen sie in Strenge des Satzes in nichts nach. Verwechseln wir die Gattung Fantasie um 1610 nicht mit der bloßen Notation genialischen Fantasierens (wie in der Klassik oder Romantik): sie galt in dieser Zeit als Krönung der instrumentalen Kompositionskunst (sic) schlechthin. Nicht zufällig elaborierte Sweelinck seine chromatische Fantasie auf der Grundlage eines früheren eigenen Werkes derselben Gattung.[+]

Doppelter Kontrapunkt

Mehr noch als im Umgang mit dem chromatischen Thema erweist sich die Meisterschaft Sweelincks in dessen Kombination(en) mit zwei Gegenthemen im doppelten Kontrapunkt - vertauschbar also:

J.P.Sweelinck, Fantasia cromatica, Ausschnitt (42K)
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Domenico MAZZOCCHI
1592-1665


[1.] A Travestirsi
(Claudio Achillini)
[Nella Santissima Natività di N.S.]
aus: Musiche Sacre, e Morali
A Una, Due, E Tre Voci
Roma 1640
... Sonetti & Arie di più parti à voce sola.

Domenico Mazzocchi, A Travestirsi, Anfang (63K)

Sonetto. parti 4 [Sonett in vier Abschnitten]
A travestirsi di passibil velo
E di pagar delle mie colpe il sio,
Passa, perche dal sango io passi in Dio,
Da le stelle alla stalle il Rè del cielo.
Um sich mit dem Leidensschleier zu kleiden,
Und um für meine Schuld zu büßen,
Schreitet, auf daß ich aus dem Schlamm zu Gott schreite,
Von den Sternen zum Stall der Himmelskönig [=die Sonne]
Quivi sù freddi stecchi arde di zelo
Nel più fitto rigore, e nel più rio
E se non quanto ci sente un fiato pio,
Fra gl'incendii d'amor trema di gielo.
Daselbst über kalten Hölzchen brennt er vor Eifer
In strengster und schlimmster Kälte,
Und solange er keinen frommen Atem spürt,
Zittert er inmitten der Liebesfeuer.
Audite ò terra, ò ciel, le mie parole -
Per fuggir la più cruda ira del verno,
Al respirar d'un bue si scalda il sole.
Ihr, o Erde und Himmel, hört meine Worte -
Um der grausamen Wut des Winters zu entkommen
Wärmt die Sonne sich an dem Atem eines Ochsen.
Ma perchè vuole impoverir l'Inferno
Passa, e la Libra sua toccar non vuole,
Da la Vergine al Tauro il sole eterno.
Aber um die Hölle zu schwächen
Schreitet, ohne seine Waage zu berühren,
Von der Jungfrau zum Stier die ewige Sonne.
Claudio Achillini [© Übs. TvdP]
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Michelangelo ROSSI
c.1601-1656


Settima Toccata
aus:
Toccate e Corenti [sic]
d'Intavolatura d'Organo e Cimbalo
[posthume] Neuauflage Rom 1657

" Sie werden aber von den Italis meines erachtens / daher mit Namen Toccata also genennet /
weil Toccare heißt tangere, attingere, und Toccato, tactus: So sagen auch die Italiäner
'Toccare un poco' Das heißt / beschlagt das Instrument, oder begreifft die Clavier ein wenig:
Daher Toccata ein durchgriff oder begreiffung des Claviers gar wol kan genennet werden."

(Michael Praetorius, Syntagma Musicum (III), Wolfenbüttel 1619)


Einer der bedeutendsten Toccatenkomponisten der Generation nach Frescobaldi ist Michelangelo Rossi. Der um 1601 in Genua Geborene, nicht zu verwechseln mit seinem bekannteren Zeitgenossen Luigi Rossi, wurde besonders als Geiger ("Michel Angelo del Violino") und Opernschöpfer gefeiert. Auch er war (ab 1625) Schüler und Freund Frescobaldis in Rom - für Rossis musikalische Entwicklung und Karriere glücklicherweise ebenso entscheidend wie das erfolgreiche Anknüpfen enger Beziehungen zu den einflußreichsten Herrscherfamilien Mittel- und Norditaliens, den Barberini - Familie des Papstes Urban VIII. - d'Este, Bentivoglio und Sforza.

Von Rossis Kompositionen ist hauptsächlich die Sammlung der Toccate e Cor[r]enti d'Intavolatura d'Organo e Cimbalo (Rom c.1640) erhalten. Sie wurde bereits im Jahr nach Rossis Tod, 1657 wiederaufgelegt, und schon damals dürfte die herausragende Toccata settima in ihrer ausschweifenden Chromatik verstörend gewirkt haben: weniger als kalkulierter Effekt denn als eine Reverenz an zeitgenössische Manieristen und Exzentriker wie Don Carlo Gesualdo di Venosa oder den berüchtigen Tastenteufel Giovanni de Macque - und als solche begriffen.

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Domenico MAZZOCCHI
[2.] Giunto alla Cuna
(Monsignor Rospigliosi)
[Per la Natività di N.S.]
aus: Musiche Sacre, e Morali
A Una, Due, E Tre Voci
Roma 1640
... Sonetti & Arie di più parti à voce sola.
 
Ottave. par[ti] 3. [Ottaverime in 3 Abschnitten]
Giunto alla cuna, ove al suo Figlio vivo
Leggi di morte il sommo Re prescrisse,
Confuso un pastorello, e quasi privo
Di movimento, à Giesù gl'occhi affisse.
E d'affetto sgorgando un largo rivo,
In un devoto ohime, proruppe, e disse:
Angekommen an der Krippe, wo an seinem lebenden Sohne
Der höchste König Gesetze des Todes vorschrieb,
Heftete ein verwirrter und fast
Erstarrter Hirtenjunge seinen Blick auf Jesus.
Und einen großen Strom von Gefühl hervorsprudelnd,
Brach er in ein devotes Seufzen aus und sagte:
O mio dolce Signor pietoso tanto,
Che per far lieto il Mondo hor versi il pianto.
O mein süsser Herr, so überaus erbarmungsvoll,
Daß Du, indem Du die Welt froh machst, das Weinen wandelst
Tu gli strali pungenti, e le vivaci
Fiamme dal Ciel ne porti eterno Amore,
E ben sent'io con disusate faci
Trà quest'ombre gelate arderm'il core
Deh prendi i miei sospiri, e questi baci
Prendi, ch'io bagno di petoso humore,
Du bringst stechende Strahlen und schnellen
Flammen vom Himmel und ewige Liebe
Und ich spüre sehr wohl, daß mit ungewöhnlichen Fackeln
Inmitten vereister Schatten mein Herz mir brennt.
Ach, nimm meine Seufzer an, und diese Küsse
Nimm, die ich bade in erbarmungsvoller Feuchtigkeit,
E s'io per te gia mi distruggo, almeno
Resta Amor santo ad habitarmi in seno.
Und wenn ich mich für Dich schon verzehre
Dann wenigstens bleibt heilige Liebe mir in der Brust wohnen.
Resta Amor santo à ravvivarmi, e gira
Gl'occhi di tua clemenza alle mie spoglie.
Errai, no'l nego, errai ma cessi l'ira,
Ch'entro à celeste cor mal si raccoglie.
Perdona il mio fallir, che sol respira
In questa speme il cor frà le mie doglie.
Heilige Liebe bleibt, um mich wieder zu erwecken, und wendet
Die Augen Deiner Güte auf meine sterbliche Hülle.
Ich habe gefehlt, ich leugne es nicht; aber Du beendest den Zorn,
Der sich übel in mir gegen das himmlische Herz versammelt.
Vergib meine Fehler, so daß einzig aufatmen
In dieser Hoffnung möge das Herz, inmitten meiner Schmerzen.
Fa ch'io mora per te, ne ti sia noia,
Che se lungi a te vissi, hor per te moia.
Mache, daß ich für Dich sterbe, und sei es Dir nicht zum Verdruß,
Daß, auch wenn ich fern von Dir gelebt habe, doch für Dich sterbe.
"Monsignor" [Giulio] Rospigliosi [© Übs. TvdP]


Holy Ghostwriter

"Monsignor" Rospigliosi erscheint aus heutiger Sicht noch untertrieben, denn biographische Würdigungen von Giulio Rospigliosi (1600-1669) finden sich inzwischen in Büchern wie dem Lexikon der Päpste (Zürich/Stuttgart 1965): ab 1667 nämlich sollte er als Klemens IX. amtieren (Stichworte Frieden von Aachen, 1668, und Kapitulation von Candia/Kreta 1669). Als Papst wegen seiner Konzilianz nicht unumstritten, steht Rospigliosis Bedeutung für die Operngeschichte außer Frage: Stefano Landi, der führende Meister der römischen Oper, vertonte seinen Sant' Alessio (uraufgeführt 1632 in einer spektakulären Inszenierung von Bernini) und andere Libretti, 1639 lag ein Text Rospigliosis auch der ersten Opera buffa überhaupt zugrunde: Chi soffre, speri. Michelangelo Rossi (s.o.) vertonte 1633 ebenfalls ein Textbuch von Rospigliosi, nämlich Erminia sul Giordano als eine Pastoraloper (nach Tassos Gerusalemme liberata).

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Jan Pieterszoon SWEELINCK

Puer nobis nascitur
(Ons is gheboren een kindekijn ?)
4 Variationen manualiter und pedaliter
Johann Peters [=Sweelinck]
in: Lübbenauer Orgeltabulaturen
(Deutsche Staatsbibliothek Berlin, MS. LynarA1)
Puer nobis nascitur,
Rector angelorum;
In hoc mundo pascitur
Dominus Dominorum.
 
  [ aus der 1609
von Sweelincks Zeitgenossen
Michael Praetorius (1571-1621)
vertonten Version
(Musae Sioniae, Sechster Theil, XLIV): ]

2.
Uns ist geborn ein Kindelein
Von einer Jungfrau reine.
Marie ist die Mutter sein
Sein Vater Gott alleine.

5.
Der von Maria ward geborn
An diesm heutgen Tage
Der wolle sein liebs Himmelreich
Uns nimmermehr versagen.
[ Anmerkungen! ] 
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Constantijn HUYGENS
1596-1687


Dilataverunt super me os suum
Psalmus XXXIV-XXXV - Vers. XXI. - XXII.
unius vocis cum basso continuo
aus:
Pathodia Sacra et Profana
Paris 1647
Dilataverunt, dilataverunt super me os suum;
dixerunt: Euge, viderunt oculi nostri.
Vidisti, Domine, vidisti, ne sileas;
Domine, ne discedas a me.
 
  [aus XXXV - Von Dawid.]

Ihren Mund weiten sie wider mich,
sprechen: "Ha, ha!
nun hats unser Auge ersehn!"
Gesehen hast du es, DU!
nimmer schweige, mein Herr,
nimmer bleibe mir fern!

[Übs. Martin Buber]
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Johann Jacob FROBERGER
1616-1667


Capriccio VI auf G
Cembalo solo


Wenn eine Generation später als Sweelinck Johann Jacob Froberger "weiter geht" - dann weniger den berühmten Schritt für die Menschheit (oder gar die Musikgeschichte), vielmehr einen Schritt durch den Tonraum: das Thema des Capriccio auf g füllt (statt einer Quarte bei Sweelinck) den gesamten Abstand einer Quinte chromatisch aus und stößt kalkuliert rücksichtslos mit seinen eigenen Umkehrungen zusammen. Dieses quasi "reihentechnische" Verfahren ebenso wie die Charakterisierung der Formteile durch verschiedene Themenvarianten weisen ins 20.Jahrhundert.

Johann Jacob Froberger, Capriccio auf G, Ausschnitt (23K)

Hier aber - im Vergleich mit Sweelinck - notwendig "Fortschritt" des Ausdrucksvermögens zu vermuten, sollte man sich hüten. Hörbar wäre allerdings, wie Froberger schon viel weniger sicher auf dem Boden der mitteltönigen Stimmung zu stehen, ja manchmal nur mit Mühe von einem stabilen Akkord zum nächsten zu balancieren scheint. Max Reger, viel später, sollte dafür mehr als vier Stimmen und hundertmal mehr Töne benötigen - beschränkt allerdings vom modernen handicap der gleichschwebenden Temperatur.

Der Stuttgarter Froberger, als Sohn eines württembergischen Hofkapellsängers 1616 geboren, gilt als wichtigster deutscher Komponist für Tasteninstrumente in der Mitte des 17.Jahrhunderts. Von 1637 an war er kaiserlicher Hoforganist in Wien, durfte aber wiederholt längere Studienzeit in Italien verbringen: bis 1641 bei Frescobaldi und zwischen 1645 und 1649 noch einmal in längerer Zusammenarbeit mit dem legendären jesuitischen Musiktheoretier Athanasius Kircher, dessen Kompositionssystem Froberger selbst erprobte und propagierte. Konzertreisen führten ihn durch ganz Mitteleuropa, von Dresden bis Paris und London. Seine letzten anderthalb Jahre verbrachte er auf dem Sitz der Gräfin Sibylla von Württemberg im nordostfranzösischen Montbéliard (Mömpelgard).

Aus dieser Zeit datiert die kurze Korrespondenz mit dem holländischen Staatsmann, Wissenschaftler, Musiktheoretiker und Musiker Constantijn Huygens; beide hatten sich 1666 in Mainz kennen- und schätzen gelernt und der versierte Lautenist Huygens verband seine Anfrage nach neuen Kompositionens-Abschriften von Froberger (denn dieser ließ seine Musik nicht drucken) mit der Übersendung einer eigenen Lautenbearbeitung einer Frobergerschen Gigue. - aber schon den vermutlich zweiten Antwortbrief muß die Herzogin Sibylla selbst verfassen:
" [...] Allein verbleibe ich leider, Gott erbarm's, nur eine geringe hinderlassene Scholarin meines lieben, ehrlichen, getrewen und fleissigen Lehrmeisters, seligen Herren Johann Jacob Frobergers, keyserlichen Mayestäts Kamer Organist, welcher heut 7 Wochen Abents nach 5 Uhr under werendem seinem Vesper Gebet von dem lieben Gott mit einem starken Schlagflus angegriffen worden, nur noch etlich Mal starck Athem geholt und hernach ohne Bewegung einiges Glids so sanft und, wie ich zu dem liben Gott hoffe, selig verschiden [...] Nuhn der liebe Gott erwecke ihn mit Freuden, und gebe das wir einander im himlischen und englischen Musenchor wider antreffen megen."

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Huygensscan (142K)


Constantijn HUYGENS
Multi dicunt animae meae
Psalmus III - Vers. III. - IV.
Multi dicunt animae meae:
non est salus ipsi in Deo eius.
Tu autem Domine susceptor meus es,
gloria mea, et exaltans caput meum.
 
  [aus III - Ein Harfenlied Dawids:
als er vor seinem Sohn Abschalom auf der Flucht war.]

... viele sprechen von meiner Seele:
"Keine Befreiung ist dem bei Gott."
/ Empor! /
DU aber bist ein Schild um mich her,
meine Ehre und was hochträgt mein Haupt.

[Übs. Martin Buber]
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Gesänge zu G.C. Schemellis
Musicalischem Gesang-Buch
Leipzig 1736
Johann Sebastian BACH
1685-1750


Ich freue mich in dir
BWV 465
Lied 13
Strophen 1-4
Text: Caspar Ziegler 1697
1.
Ich freue mich in dir | und heiße dich willkommen,
mein liebstes Jesulein. Du hast dir vorgenommen,
mein Brüderlein zu sein; ach ein wie süßer Ton!
Wie freundlich sieht er aus, der große Gottessohn!

2.
Gott senkt die Majestät, sein unbegreiflich Wesen,
in eines Menschen Leib; nun muss die Welt genesen.
Der allerhöchste Gott | spricht freundlich bei mir ein,
wird gar ein kleines Kind | und heißt mein Jesulein.

3.
Wie lieblich klingt er mir, wie schallt er in den Ohren!
Er kann durch Stahl und Erz | und harte Felsen bohren,
das liebste Jesulein. Wer Jesum recht erkennt,
der stirbt nicht, wenn er stirbt, sobald er Jesum nennt.

4.
Wohlan, so will ich mich | an dich, o Jesu, halten,
und sollte gleich die Welt | in tausend Stücke spalten.
O Jesu, dir, nur dir, | dir leb ich ganz allein.
Auf dich, allein auf dich, Mein Jesu, schlaf ich ein.

 
 
Ihr Gestirn, ihr hohen Lüfte
BWV 476
Lied 15
Strophen 1,5,8,9
Text: Johann Franck 1674
1.
Ihr Gestirn, ihr hohen Lüfte
und du lichtes Firmament,
tiefes Rund, ihr dunklen Klüfte,
die der Widerschall zertrennt,
jauchzet fröhlich, lasst das Singen
jetzt bis durch die Wolken dringen.

5.
Bethlehem, uns wundert alle,
wie es immer zu mag gehn,
dass in deinem kleinen Stalle
kann der ganze Himmel stehn.
Hat denn nun der Sterne Menge
Raum in einer solchen Enge?

8.
Komm, ich habe dir zur Wiegen
schon ein Räumlein ausgesucht,
drinnen sollst du sanfter liegen
als in jener harten Bucht.
Komm, mein Herz, das soll zum besten,
so viel möglich, dich begästen.

9.
Zwar ist solche Herzensstube
wohl kein schöner Fürstensaal,
sondern eine finstre Grube;
doch sobald dein Gnadenstrahl
in denselben nur wird blinken [,]
wird es voller Sonnen dünken.

 
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Dieterich BUXTEHUDE
1637-1707
Aria: Rofilis [Lully]



3 Partite diverse
BuxWV 248
Cembalo solo


Frz. Nachtmusique - zu Lübeck

Die sog. 3 Partite diverse über die Aria: Rofilis (?) zeigen wie eine kurzer Choralpartita in den unaufdringlichen Einfärbungen einer schlichten und ausdrucksstarken Melodie die ganze Variationenmeisterschaft des dänischen Organisten Dieterich Buxtehude, von 1668 bis zu seinem Tod 1707 in Lübeck ansässig und Vorbild für eine ganze Generation von Kirchenmusikern. Gleichzeitig ist "Rofilis" ein weiteres Beispiel für die europaweite Migration musikalischen Gedankenguts, denn jene variierte Aria stammt aus Frankreich und von der Bühne: ihr Komponist war der vom italienischen Immigranten zum einflussreichsten Hofkomponisten und Ballettmeister Ludwigs XIV. aufgestiegene Jean-Baptiste Lully. Das Ballet Royal de l'impatience, "dansé par sa Majesté" am 19.Februar 1661, enthält sowohl französische als auch italienische Rezitative und Arien.
" La Nuit de ses sombres Voiles
Couvre nous desirs ardents
Et l'amour et les Estoiles
sont nos secrets confidens.
"
Ein Geheimnis allerdings bleibt der Weg dieser Lully-Arie zu Buxtehude, ebenso wie die Herkunft des neuen Titels (?) "Rofilis" für die [den] im Original sogenannte Air pour un Grand qui donne une Serenade à sa Maitresse (impatient de la voir).
Deutlich ist nur so viel: wenn der ungeduldige Edelmann etwas nicht erwarten kann, dann ist das kaum die Weihnacht.

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Gesänge zu G.C. Schemellis
Musicalischem Gesang-Buch
Leipzig 1736
Johann Sebastian BACH
1685-1750


Ich steh an deiner Krippen hier

BWV 469
Lied 14
Strophen 1,4,6,7,14
Text: Paul Gerhardt 1653
1.
Ich steh an deiner Krippen hier,
o Jesulein, mein Leben,
ich stehe, bring und schenke dir,
was du mir hast gegeben.
Nimm hin, es ist mein Geist und Sinn,
Herz, Seel und Mut, nimm alles hin
und lass dirs wohlgefallen.

4.
Ich lag in tiefster Todesnacht,
du wurdest meine Sonne,
die Sonne, die mir zugebracht
Licht, Leben, Freud und Wonne.
O Sonne, die das werte Licht
des Glaubens in mir zugericht,
wie schön sind deine Strahlen.

6.
Vergönne mir, o Jesulein,
dass ich dein Mündlein küsse,
das Mündlein, das den süßen Wein,
auch Milch und Honigflüsse
weit übertrifft in seiner Kraft,
es ist voll Labsal, Stärk und Saft,
der Mark und Bein erquicket.

7.
Wann oft mein Herz im Leibe weint
und keinen Trost kann finden,
da ruft mirs zu: Ich bin dein Freund
ein Tilger deiner Sünden.
Was traurest du, mein Fleisch und Pein,
du sollt ja guter Dinge sein,
ich zahle deine Schulden.

14.
Eins aber, hoff ich, wirst du mir,
mein Heiland, nicht versagen,
dass ich dich möge für und für
in, bei und an mir tragen,
so lass mich doch dein Kripplein sein,
komm, komm und lege bei mir ein
dich und all deine Freuden.

 
O Jesulein süß, o Jesulein mild !
BWV 493
Lied 16
Strophen 1-3
1.
O Jesulein süß, o Jesulein mild !
Deines Vaters Will[e]n hast du erfüllt,
bist kommen aus dem Himmelreich,
uns armen Menschen worden gleich.
O Jesulein süß, o Jesulein mild !

2.
O Jesulein süß, o Jesulein mild !
Deins Vaters Zorn hast du gestillt,
du zahlst für uns all unser Schuld
und bringst uns in deins Vaters Huld.
O Jesulein süß, o Jesulein mild !

3.
O Jesulein süß, o Jesulein mild !
Mit Freud[en] hast du die Welt erfüllt.
Du kommst herab vons Himmels Saal
und tröst[e]st uns in dem Jammertal.
O Jesulein süß, o Jesulein mild !

 
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Claudio MONTEVERDI
1567-1613

Laudate Dominum
Psalm 150
aus: Selva morale e spirituale
Venedig 1641
 
Psalm 150, 1;3;4a;5

Laudate Dominum in sanctis ejus;
Laudate eum in firmamento virtutis ejus.
Laudate eum in sono tubae,
Laudate eum in psalterio et cithara.
Laudate eum in tympano et choro.
Laudate eum in cymbalis bene sonantibus.
Laudate eum in cymbalis jubilationibus.
Omnis spiritus laudet Dominum.
Alleluja.

Preiset oh Ihn!

Preiset Gott in seinem Heiligtum,
preiset ihn am Gewölb seiner Macht!
Preiset ihn in seinen Gewalten,
preiset ihn nach der Fülle seiner Größe!
Preiset ihn mit Posaunenstoß,
preiset ihn mit Laute und Leier,
preiset ihn mit Pauke und Reigen,
preiset mit Saitenklang und Schalmei,
preiset ihn mit Zimbelnschall,
preiset ihn mit Zimbelngeschmetter!
Aller Atem preise oh Ihn!

Preiset oh Ihn!

[Übs. Martin Buber]
 
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© JMR 12/2004
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